Charakterpuppe

Puppenmanufaktur Kämmer & Reinhardt nach einem Modell von Arthur Wilhelm Otto Lewin-Funcke (1866-1937)
1909

Objektdetails

Ort der Herstellung

Waltershausen

Material, Technik

Bisquitporzellan, Modelliermasse, Draht

Maße

46,0 cm x 20,0 cm x 15,0 cm

Provenienz

Dauerleihgabe von Jutta Diefenbach (Stiefenkelin von Oberhebamme Ernestine Juliane Walther geb. 1863), 2011

Literatur

Antje Lode, Skulptur und Puppe. Vom Menschenbildnis zum Spielzeug. Berlin: Edition A.B. Fischer 2008.

Kapitel

Eine Puppe im Dienst der Säuglingspflege

An der Königlichen Frauenklinik Dresden diente diese Charakterpuppe von Kämmer & Reinhardt aus dem Jahr 1909 der Ausbildung von Hebammen und Übung für Schwangere und Mütter. Eine Oberhebamme der Klinik hat das weltberühmte Puppenmodell über die Jahre aufbewahrt.



Nachkommen von Frau Ernestine Juliane Walther, seit dem späten 19. Jahrhundert Oberhebamme an der Königlichen Frauenklinik Dresden, übergaben diese Babypuppe 2011 an die Medizinhistorische Sammlung. Dieses Modell verkaufte sich seit 1909 unter dem geschützten Namen „Charakterpuppe“. Aufbewahrt in der Hebammenwohnung überdauerte die Puppe unbeschadet den Bombenangriff im Jahr 1945. Mit ihr überlieferte sich der Bericht, dass Babypuppen an der Dresdner Frauenklinik schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur Übung der Säuglingspflege genutzt wurden. Verwendung fanden sie in der Ausbildung von Hebammen sowie zur Unterweisung von Hausschwangeren und Entbundenen („Wöchnerinnen“). 
Die echten Säuglingsproportionen, die angewinkelten und beweglichen Gliedmaßen und vor allem das naturgetreue Babygesicht waren neuartig. Damals lösten sie Begeisterung und Ablehnung zugleich aus. Für die Simulation eines Neugeborenen eigneten sie sich hervorragend. Die Vorlage für den Kopf stammt vom Berliner Bildhauer Arthur Lewin-Funke. Seine Nebentätigkeit als Puppendesigner hielt er streng geheim. Erst 1925 entwarf Käthe Kruse mit „Träumerchen“ die erste Puppe eigens für die Nutzung durch Hebammen. Bis heute ist der Gebrauch solcher Trainingspuppen üblich.

Text: Nora Haubold, 2023
Oberhebamme Ernestine Juliane Walther (geb. Müller, 1863)

Ernestine Juliane Walther Müller in ihrer Dienstwohnung, Schwarz-Weiß-Fotografie, privat Im Alter von 33 Jahren war die ausgebildete Hebamme Ernestine Juliane Müller bereits im Jahr 1896 ...

Dresdner Hebammen mit Puppe

Diese historische Fotografie zeigt zwei Hebammenschülerinnen der Staatlichen Frauenklinik in Dresden. Sie stehen am Fenster des Dachgeschosses in Haus B der Klinik....

Charakterpuppe "K & R 100"

Am Hinterkopf der Babypuppe ist die Prägung „K & R 100“ zu finden – das „&“ umschlossen von einem sechszackigen Stern. Dieses Warenzeichen verrät den Hersteller: die Puppenmanufaktur Kämmer & Reinhardt aus Waltershausen in Thür...

Ein Künstler im Puppengewerbe

Der Bildhauer Arthur Wilhelm Otto Lewin-Funcke (1866-1937), geboren in Niedersedlitz bei Dresden, wurde an der Königlicher Akademischer Hochschule für die Bildenden Künste Berlin ausgebildet. In Berlin gründete...

„Kaiserbaby“

Umgangssprachlich verbreitete sich für den Typus der K & R 100er-Serie die Bezeichnung „Kaiserbaby“. Verschiedene Gerüchte über das Modell zur Charakterpuppe und zum Entstehen seines Spitznamens waren in Umlauf geko...

Träumerchen

Im Jahr 1925 veröffentlichte die findige Puppenherstellerin Käthe Kruse erstmals in Deutschland eine Babypuppe speziell zur Ausbildung von Hebammen und Kinderkrankenschwestern. Das „Träumerchen“ hatte ein schlafendes Gesicht ....

Lehrkurse für (werdende) Mütter

Der Mutterschutz war während der nationalsozialistischen Herrschaft erheblich erweitert und am 17. Mai 1942 mit dem Erlass des Gesetzes zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (MSchG) verankert worden...